Das fremde Mädchen
Om bogen
Man merkt diesem sehr engagiert geschriebenen Buch gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus an, dass seit seinem ersten Erscheinen 2003 fast zwei Jahrzehnte vergangen sind. Inzwischen sind Nazis nicht immer so einfach zu erkennen, wie damals beschrieben:
Oliver sieht sie als Erster, er hat die Eingangstür im Blick. Drei große Kerle betreten die Gaststätte, geschorene Köpfe, Bomberjacken und auffällige Stiefel, Springerstiefel. Und hinter ihnen kommt Thorsten.
Die drei in den Bomberjacken schauen sich um, an ihren Gesichtern ist zu erkennen, dass sie in nicht friedlicher Absicht gekommen sind. Aber sie sagen nichts, stehen jetzt in der Mitte des Raumes.
Oliver sieht, dass Torsten zu ihnen herüberschaut, er steht neben einem der drei, der sein Bruder sein könnte.
Die jungen Störenfriede inspizieren am Sonntag nach der Eröffnung die neue türkische Gaststätte am Marktplatz einer Stadt im Norden des Landes, mit der Mohamed Erfolg haben will. Mohamed ist der Vater von Mina Acad. Sie kommt an einem September neu in die fünfte Klasse – sie ist das fremde Mädchen. Klassenlehrerin Frau Matusche schreibt ihren Namen mit großen Buchstaben an die Tafel und erläutert, woher sie und ihre Familie kommen: „Mina kommt aus Berlin. Ihr Vater eröffnet in Kürze eine Gaststätte. Am Markt wird das sein. Minas Vater ist aus der Türkei nach Deutschland gekommen, aus dem kurdischen Teil der Türkei. Mina ist in Berlin geboren und groß geworden. Ja, und nun ist sie bei uns hier in Sulkow und wird unsere Schule besuchen. Ja, und ihr sollt sie gut aufnehmen.“
Genau das tun Oliver und Annegret aus ihrer Klasse. Mina fühlt sich bald wohl in Sulkow. Schon Anfang Oktober öffnet Papas Gaststätte. Die Leute mögen das Restaurant mit dem orientalischen Charme. Alles scheint in bester Ordnung. Doch als Oliver Mina am ersten Novembermontag zur Schule abholen will, ist sie nicht da. Bald weiß er auch, warum: An der Ecke zum Markt, an der die Gaststätte „Zum Halbmond“ ist, sieht er Leute stehen, die auf das Haus blicken.
Da sieht Oliver die zerschlagenen Fensterscheiben, das herunterhängende Schild „Zum Halbmond“, schwarze Streifen und Striche auf der hellen Hauswand.
Er erschrickt, bleibt eine Weile stehen, ist wie vom Schlag gerührt.
Oliver denkt nicht mehr an die Schule, er tritt durch die offene Tür in den Gastraum und sieht die Verwüstung, die umgekippten Tische, zerbrochene Stühle, die zerstörte Theke.
Wer war das? Und wie werden die Menschen in Sulkow auf diese gemeine Provokation reagieren?