Weshalb bin ich hier?
Chefarzt Dr. Norden 1161 – Arztroman
Om bogen
Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden!
So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche!
Lisa Wagner blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Staubgrau lag die Dämmerung des frühen Märzmorgens über dem weitläufigen, parkähnlichen Garten in einer der besseren Gegenden Münchens. Die Villa stammte aus der Zeit der letzten Jahrhundertwende. Ein reicher Tuchhändler hatte sie nach dem damaligen Geschmack für sich und seine Familie erbauen lassen. Das hieß hohe Räume, Stuck, knarrendes Parkett, Bleiglas und hier und da eine bunte Einlegearbeit aus Künstlerhand. Der Tuchhändler hatte hier nur wenige Jahre gelebt, seine Frau war früh verstorben, eines der Kinder an Diphterie. Danach war er einsam gewesen, hatte das Haus verkauft, die Stadt verlassen. Ein arrivierter Kunstmaler hatte den Besitz erstanden, hier viele Jahre verbracht und war hoch betagt in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda aus gesägtem Naturstein gestorben. Später war das Haus von wechselnden Regimes und Machthabern besetzt worden, abgewohnt, zerschlissen. Es hatte Jahre lang leer gestanden, war schließlich zu einem sehr moderaten Preis von Kai Wagner erstanden und grundsaniert worden. Der begüterte Unternehmer hatte ein Schmuckkästchen daraus gemacht, umgeben von einem herrlichen Garten in englischen Stil. Lisa hatte sich mit der Geschichte des Hauses beschäftigt, in langen, einsamen Stunden. Sie seufzte leise und fuhr sich mit einer unbewussten Geste über ihren rechten Unterarm. Ein unangenehmes Jucken hatte sich dort ausgebreitet. Sie strich über den Pulloverärmel aus feinstem Kaschmir, ohne ihn nach oben zu schieben und die bläulichen Verfärbungen zu offenbaren, die ihren Unterarm in Form von fünf Fingern überzogen. Unvermittelt musste sie an das denken, was ihre Mutter immer gesagt hatte, wenn sie sich als Kind verletzt hatte. »Wenn's juckt, dann heilt's.« Edith Hansen war eine einfache, aber kluge Frau gewesen, geboren und gestorben in Ulm, nach einem Leben mit Mann und zwei Kindern, Hausarbeit und ab und an einer Ferienreise in die Berge. Es heilt nicht, Mama, dachte Lisa in einem Anflug von kalter Verzweiflung. Sie dachte an die wenigen Jahre mit Rolf, ihrer Jugendliebe.