Sie waren Zwillingsgeschwister, Fräulein Monika und Pfarrer Emanuel, hatten jüngst ihr sechzigstes Jahr erreicht und gehörten zur kleinen Gemeinde der einsamen Menschen. Was verliebt sein heißt, hatte Monika nie erfahren, obwohl sie einst sehr nahe daran war, sich zu verheiraten. Aber nur aus Hochachtung. Was in ihrem Bruder vorgegangen, ob er Kämpfe zu bestehen gehabt hatte, ob die Entsagung ihm so leicht geworden wie ihr, davon wusste sie nichts. Nur einmal, als sie etwas gedankenlos sich und ihn als Muster einer lautersten Lebensführung hinstellte, sprach er lächelnd: „Vielleicht die Folge einer Mangelhaftigkeit unserer Naturen. Es kommt vor. Cicero soll nie geliebt haben.“
Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war eine sogar bei Zwillingen auffallende. Sie waren groß und hager, hatten feine Gesichter von durchsichtiger Blässe mit Adlernasen und schmalen, geraden Lippen, die nie geküsst und nie ein gemeines Wort gesprochen hatten. Ihre Haare blieben noch im Alter reich und bewahrten ihr mattes altgoldfarbiges Blond, so wie die Augen ihr helles Himmelblau.